Osternachtpredigt 2009
Osternachtpredigt Bückeburg, 12. April 2009
Der Weg durch die Osternacht ist ein Bild unseres Lebens. Wir gehen durch die Nacht unserer Leiden und Ängste, aber wir tragen in den Händen ein Licht, das die Nacht unseres Lebens verwandelt. Aus der Nacht der Leiden, Ängste und Zweifel wird die Nacht des Geheimnisses. Das Geheimnis des Lichts, das vor uns brennt, liegt in den drei Worten: Christus ist auferstanden. Als der Sieger über Sünde und Tod hebt er alle Trennung auf. Er hebt auf, was uns trennt von uns selbst. Er hebt auf, was uns trennt voneinander. Er hebt auf, was uns trennt von Gott.
Vor der brennenden Osterkerze haben wir vorhin den schönsten Lobpreis gehört, der in der Kirche erklingt, das Exsultet, das große Osterlob, der Lobgesang auf den auferstandenen Christus. Ein Hymnus, der uns mit den Anfängen der Christenheit verbindet - wie übrigens die ganze Osternachtliturgie. Ambrosius von Mailand hat das Exsultet etwa im Jahr 350 geschrieben. Beinahe zweitausend Jahre stehen hinter diesem Gesang, der heute Nacht wieder überall in unseren Kirchen erklingt.
Seit vielen Jahrhunderten bildet diese Nacht in ihrer liturgischen Gestaltung den Höhepunkt des ganzen Kirchenjahres. In dieser Nacht empfingen die Taufanwärter in der Zeit der frühen Christenheit die Taufe. In dieser Nacht wird in einem großen Bogen biblischer Lesungen die ganze Heilsgeschichte entfaltet, von der Schöpfung am Anfang über die Befreiung Israels aus Ägypten bis hin zur Wiederkunft Christi beim Jüngsten Gericht. Aber in der Mitte dieser Nacht steht das Geheimnis der Auferweckung Christi, der Übergang vom Tod zum Leben, der Wechsel von der trauernden Erinnerung an sein Leiden zu dem Jubelruf: Der Herr ist auferstanden.
Unbegreiflich ist das Drama dieser Nacht. In Christus vollzieht sich der Übergang vom Tod zum Leben, den zuallererst die Schöpfung vorgezeichnet hat. Denn in ihr wurde das Leben dem Chaos abgerungen. Dieses Geschehen wiederholte sich, als das Volk Israel sich in der ägyptischen Sklaverei dem Tod preisgegeben wusste, bis es von Gott in die Freiheit geführt wurde. Er selbst ging seinem Volk voran, am Tag in einer Wolkensäule und in der Nacht in einer Feuersäule.
Und dieser Übergang wird sich ein letztes Mal wiederholen, wenn Christus selbst, uns alle aus dem Tod ins Leben ruft. Dieses weltgeschichtliche Drama ist zusammengefasst in einer einzigen Nacht: in der Osternacht, in der Gott seinen Sohn Jesus Christus aus dem Tod ins Leben ruft.
Das zu begreifen, ist kaum möglich, für manche unmöglich. Daran hat sich seit fast 2000 Jahren nichts geändert. Wir Menschen brauchen Bilder, um das ansatzweise begreifen zu können: das Kreuz, Gräber, die Felsbrocken, die Nacht, das Licht und den Tag, gesprochene Bilder, hineingemalt in unser Leben. Und eben diese Stellung hat diese Nacht inmitten der Nächte eines Jahres, inmitten der unzähligen Nächte unseres Lebens. Während der Karfreitag uns an den Tod Jesu erinnert und das Osterfest uns an das Ja Gottes zum Leben - gegen allen Tod in der Welt - verbinden sich in dieser Nacht und mit diesem Gottesdienst alle Elemente: Wir kommen vom Karfreitag mit seiner Botschaft her und glauben uns in dieser Nacht hinüber zu dem, was auch die Frauen am Grab erfuhren: "Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier“.
Seit dem Ostermorgen wissen wir: Wir brauchen das Leben nicht mehr im Totenreich zu suchen. Wir brauchen die Liebe nicht mehr widerlegt zu fühlen durch den Gang der Ereignisse. In Zukunft dürfen wir aufeinander zugehen, nicht mehr mit der Botschaft der Verzweiflung, sondern vom Grabe weg, auf den anderen zu und ihm sagen: „Auch du brauchst nicht mehr an die Angst zu glauben und an die Allmacht der Mittel, Menschen in die Knie zu zwingen. Du darfst an das Leben glauben“. Und fangen wir an, so zu leben, so sagt uns dieses Osterevangelium, dann begegnet uns der Herr.
Es ist das Wunder der Person Jesu, dass Gräber sich öffnen, dass Verzweiflung zum Glauben reift, dass Steine sich fort bewegen und dass wir wissen: Er geht uns voraus. Alles, was er sagte, bestätigt sich fühlbar, hörbar noch einmal. Und keines der Worte, die er sprach ist verloren, vergessen oder widerlegt, sie sind die Zukunft. Sie sind, was uns vorausgeht. Wir brauchen den Lebenden nicht länger bei den Toten zu suchen. Halleluja.
Matthias Ziemens